MetaId : 66670 Name (vollständig) : Marcel Lacroix
Marcel Lacroix, geboren 1926, und Stéphane Lewandowski, geboren 1925, waren unter den wenigen Franzosen, die erst dann nach Mauthausen deportiert wurden, nachdem sie das berauschende Gefühl der Befreiung Frankreichs erlebt hatten.
Als Bewohner der Stadt Pont-à-Mousson in Lothringen, im Osten Frankreichs, bekämpften sie, bewaffnet, die nationalsozialistische Besatzungsmacht. Nach der Befreiung von Pont-à-Mousson kämpften sie an der Front Seite an Seite mit der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika, am Ufer der Mosel, wo sie Anfang September 1944 festgenommen wurden. Vorerst mehrere Wochen in deutschen Gefängnissen gemeinsam inhaftiert, trafen sie nach dreimonatiger Trennung, an einem Sonntag-Nachmittag, im „Stammlager“ Mauthausen wieder aufeinander.
Erinnerungsbericht von Stéphane Lewandowski (Jänner 2015)
„Wir wohnten in Pont-à-Mousson im gleichen Stadtteil und besuchten seit dem Kindergarten dieselben Schulen. Nach der Schule bin ich Metallarbeiter geworden, und Marcel war in einer Pferdefleischerei angestellt. Während der Zeit der Besatzung haben wir uns, jeder für sich, für den Widerstand eingesetzt, im Jahr 1944 für den bewaffneten Widerstandskampf im Gebiet von Pont-à-Mousson, welches wir befreiten.
Nach der Befreiung von Pont-à-Mousson bekämpften wir an der Front Seite an Seite mit den Amerikanern die Wehrmacht in Lothringen. Am 9. September 1944 erschossen Marcel Lacroix und André Biquillon einen Artillerie-Leutnant, der eine deutsche Wachmannschaft kommandierte. Daraufhin wurden sie festgenommen und hinter die feindlichen Linien gebracht, in einen Schuppen, in dem sich Soldaten der Alliierten befanden, Amerikaner und Franzosen, die wie ich während des Kampfes in Gefangenschaft geraten waren. Unter diesen Umständen haben wir uns wiedergefunden. Er vertraute mir an, dass er und sein Kamerad ihre prompte Erschießung erwarteten. Dem war nicht so. Aber einige Tage später erkannte ein deutscher Soldat, der von den Alliierten im Rahmen eines Häftlingsaustausches freigelassen wurde, Marcel wieder und beschuldigte ihn diverser Gewalttaten. Und wieder glaubte Marcel, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Dies traf aber nicht ein, und so blieben wir mit André Cavajani einige Wochen beisammen, vier Widerstandskämpfer aus Pont-à-Mousson, die mit den Waffen in der Hand von der Wehrmacht zu Kriegsende gefangengenommen wurden.
Wir wurden nach Saarbrücken gebracht, dann nach Limburg in das Stalag XII-A überführt, wo der Kommandant sich weigerte, den ‚französischen Terroristen‘ Einlass zu gewähren. Hier wurden wir von den amerikanischen Soldaten getrennt und in das Gefängnis der Gestapo gebracht, wo Marcel und ich uns eine Zelle teilten. Nach mehreren Wochen in Frankfurt am Main und nach einer mehrtägigen Reise mit dem Zug wurde unsere Gruppe (etwa 30 ‚französische Terroristen‘) von Gefängnis zu Gefängnis überführt. Am 30. November 1944 kamen wir ohne Marcel in Mauthausen an.
Ende Jänner 1945, als ich im Zentrallager in Block 10 war, das wir, die Häftlinge, ‚das freie Lager‘ nannten, erfuhr ich von der Anwesenheit Marcels in Quarantäne. Er kam am 9. Jänner 1945 an. Am Sonntag, dem freien Tag, war der Zutritt zu den Blocks tagsüber erlaubt, und jene aus dem ‚freien Lager‘, so wie ich, besaßen das Privileg, für kurze Zeit einen Gefangenen aus der Quarantäne herauszuholen.
Ich ging durch eine von einem Kapo bewachte Tür, umgeben von Stacheldraht, der auf der Höhe zum Eingang der Quarantäne den Appellplatz versperrte, und bat den Blockältesten des Blocks 16, meinen Freund zu holen. Es wurde mir erlaubt, meinen Freund, der sechs Wochen nach mir nach Mauthausen gekommen war, einige Momente in das ‚freie Lager‘ mitzunehmen. Er war zu diesem Zeitpunkt in einem weitaus besseren Gesundheitszustand als ich. Wir diskutierten lange, und durch seine Erfahrung als Metzger gab Marcel uns Ratschläge für den Kauf von Pferdefleisch, das wir auf dem Schwarzmarkt sahen. Ich brachte Marcel in den Quarantänebereich zurück und wir trennten uns in der Hoffnung, uns nächsten Sonntag wiederzusehen.
Wir sahen uns nie mehr wieder. Er wurde am 14. Februar 1945 in das Nebenlager Gusen überstellt, um als Hilfsarbeiter an der Baustelle ‚Bergkristall‘ zu arbeiten. Nach dem Totenbuch von Gusen starben am 30. März 1945 ab fünf Uhr Früh, in weniger als einer Stunde, 16 Gefangene. Für zwölf andere Gefangene gab man als Todesursache in Gusen II ‚Herzschwäche‘ an. Marcel Lacroix – mein Jugendfreund – war 18 Jahre alt.“
In Erinnerung an Marcel Lacroix
Der Lebensweg von Marcel Lacroix ist auf der Webseite des Gedenkbuches der Fondation pour la Mémoire de la Déportation und auf der Webseite des Troisième Monument der Amicale de Mauthausen dokumentiert.
In Pont-à-Mousson, auf dem Kriegerdenkmal „Für die Toten des Widerstandes“, sind in goldenen Buchstaben die Namen von „Marcel Lacroix“ und die der 31 bewaffneten Widerstandskämpfer von Pont-à-Mousson aus dem Gebiet F.F.I. (Französische Streitkraft im Inneren) graviert, verstorben im Kampf gegen den Nazismus.
In Mauthausen scheint der Name von „Marcel Lacroix“ in einem bronzenen Herzen auf dem französischen Denkmal auf, er befindet sich unter den im Jahr 1949 bekanntgegebenen Namen der 4.665 ermordeten Franzosen in den Lagern von Mauthausen.
Stéphane Lewandowski / Patrice Lafaurie
Stéphane Lewandowski, geboren 1925, ist Überlebender des KZ Mauthausen. Er war unter den wenigen Franzosen, die mit dem 30. November 1944 erst dann nach Mauthausen deportiert wurden, als Frankreich bereits befreit wurde.
Patrice Lafaurie ist der Stiefsohn von Jean Gavard, der seit Ende 1940 französischer Freiheitskämpfer im besetzen Frankreich war. Jean Gavard wurde im Juni 1942 verhaftet und am 27. März 1943 nach Mauthausen deportiert; er ist Überlebender des KZ Gusen und lebt 2016 in Paris. Patrice Lafaurie ist Leitungsmitglied der Amicale des déportés, familles et amis de Mauthausen, Frankreich.
Aus dem Französischen von Andrea Peyrou
Marcel Lacroix, born in 1926, and Stéphane Lewandowski, born in 1925, are among the few Frenchmen to be deported to Mauthausen only after they had experienced the heady feeling of having liberated France.
As residents of the town of Pont-à-Mousson in Lorraine, in eastern France, they bore arms against the National Socialist occupying forces. After the liberation of Pont-à-Mousson they fought at the front, side by side with the army of the United States of America, on the banks of the Moselle, where they were captured at the beginning of September 1944. Having initially been held together for several weeks in German prisons, they bumped into one another again after a separation of three months on a Sunday afternoon in the Mauthausen ‘main camp’.
Stéphane Lewandowski recounts (January 2015):
‘We lived in Pont-à-Mousson in the same district and had attended the same schools since kindergarten. After school I became a metalworker and Marcel was employed in a horse butcher’s. During the occupation we all, everyone as best he could, supported the resistance, and in 1944 as part of the armed resistance struggle in the Pont-à-Mousson region, which we liberated.
After the liberation of Pont-à-Mousson we fought the Germans in Lorraine, side by side with the Americans, at the front. On 9 September 1944 Marcel Lacroix and André Biquillon shot an artillery lieutenant who was in charge of a German guard unit. Subsequently they were taken prisoner and taken behind enemy lines, to a shed where Allied soldiers were being held, Americans and Frenchmen who had fallen into captivity during the fighting. Under these circumstances we met again. He confided to me that he and his comrade expected to be shot very soon. This wasn’t the case. But a few days later a German soldier who had been released by the Allies as part of a prisoner exchange recognised Marcel and accused him of various acts of violence. And again Marcel believed that his final hour had come. But it didn’t arrive and we and André Cavajani remained together for some weeks, four resistance fighters from Pont-à-Mousson who, bearing arms, had been taken prisoner by the Wehrmacht as the war was ending.
We were taken to Saarbrücken, then transferred to Limburg to Stalag XII-A, where the commandant refused to take in the ‘French terrorists’. Here we were separated from the American soldiers and taken to the Gestapo prison, where Marcel and I shared a cell. After several weeks in Frankfurt am Main and after several days’ journey by train our group (some thirty “French terrorists”) were transferred from one prison to the next. On 30 November 1944 we arrived in Mauthausen without Marcel.
At the end of January 1945, when I was in the main camp in Block 10, which we, the prisoners, called “the free camp”, I learned of Marcel’s presence in quarantine. He arrived on 9 January 1945. On Sunday, the day off, entry to the Block was allowed during the day and those from the “free camp”, like myself, were granted the privilege of fetching in inmate out of quarantine for a short time.
I went through a door guarded by a kapo, surrounded by barbed wire, which closed off the roll call area from the entrance to quarantine, and asked the block elder of Block 16 to fetch my friend. I was allowed to take my friend, who had arrived in Mauthausen six weeks after me, with me to the “free camp” for a few moments. At this point in time he was in a much better state of health than myself. We talked for a long time and from his experience as a butcher, Marcel gave us advice about buying the horse meat that we had seen on the black market. I took Marcel back to the quarantine area and we parted in the hope of seeing each other again the following Sunday.
We never saw each other again. On 14 February 1945 he was transferred to the Gusen branch camp to work as a labourer on the “Bergkristall” construction site. According to the Gusen death register, from 5am onwards on 30 March 1945, 16 inmates died in less than an hour. For twelve other prisoners the cause of death in Gusen II was given as a “weak heart”. Marcel Lacroix – my childhood friend – was 18 years old.’
In memory of Marcel Lacroix
The life of Marcel Lacroix is documented on the website of the memorial book of the Fondation pour la Mémoire de la Déportation and on the Troisième Mounment website of the Amicale de Mauthausen.
In Pont-à-Mousson, the name ‘Marcel Lacroix’ and those of the 31 armed resistance fighters from Pont-à-Mousson from the F.F.I. (French Forces of the Interior) units who died in the fight against Nazism are engraved in gold on the war memorial ‘To the Dead of the Resistance’.
In Mauthausen the name ‘Marcel Lacroix’ appears in the bronze heart at the top of the French memorial. He is among the names of the 4,665 Frenchmen murdered in the camps of Mauthausen to have been made known in 1949.
Translation into English: Joanna White