MetaId : 53581 Name (vollständig) : Richard Franke
Als der neue Reichsjustizminister Otto Georg Thierack im Spätsommer 1942 sein Amt antrat, war er entschlossen, die deutsche Justiz neu auszurichten. Unter anderem schwebte ihm vor, viele „fremdvölkische“ und „unverbesserliche“ Straftäter in Zukunft nicht mehr von ordentlichen Gerichten bestrafen zu lassen, sondern stattdessen der Polizei zu überlassen.
Bei einem Treffen zwischen Thierack und Himmler am 18. September 1942 wurde das Vernichtungsprogramm dann als „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit“ vereinbart. Die Abgabe der Strafgefangenen geschah in zwei Aktionen, die als „generelle“ und „individuelle“ Abgabe bezeichnet werden können. Die „generelle Abgabe“ bedeutete, dass sämtliche in Vollzugsanstalten (und Arbeitshäusern) untergebrachten Juden, Sinti und Roma sowie Russen und Ukrainer an die Polizei zu überstellen waren. Dasselbe galt für polnische Häftlinge mit einer Strafe von über drei Jahren. Schließlich wurden allgemein auch die „Sicherungsverwahrten“ einbezogen. Mehr als die Hälfte der Sträflinge, die unter die generelle Abgabe fielen, war zu „Sicherungsverwahrung“ verurteilt. Von den meisten ging keine besondere kriminelle Bedrohung aus; man hatte sie vielmehr als „asozial“ und „minderwertig“ abgeschrieben.
Richard Franke war einer von jenen zu „Sicherungsverwahrung“ Verurteilten, die unter die „generelle Abgabe“ fielen. Sein Vater war 1910 gestorben, als er vier Jahre alt war, und er hatte drei Jahre in Fürsorgeerziehung verbracht. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er sich dann einige Jahre als ungelernter Arbeiter durchgeschlagen. Er war regelmäßig wegen kleiner Diebstähle verhaftet und zu einigen Wochen oder Monaten Gefängnis verurteilt worden, das erste Mal im Alter von 20 Jahren. Seit 1929 war er arbeitslos gewesen. In den folgenden Jahren war er auf der Suche nach Arbeit und einem Auskommen kreuz und quer durch Deutschland gereist, wobei er weitere Bagatelldelikte beging. So wurde er 1937 wegen des Diebstahls eines Gartenschlauchs zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Freilassung versuchte er, sich nichts mehr zuschulden kommen zu lassen, stahl dann aber zwischen Ende 1939 und Frühjahr 1940 mehrere Hühner und Kaninchen. Wahrscheinlich wusste er, dass ihm nach dem neuen drakonischen Kriegsstrafrecht als „Volksschädling“ sogar die Todesstrafe drohte; jedenfalls versuchte er in der Untersuchungshaft, sich das Leben zu nehmen. Angesichts der wirtschaftlichen Notlage, die Franke zu seinen Vergehen getrieben hatte, sah der Richter am Jenaer Sondergericht jedoch von der Verhängung der Todesstrafe ab und verurteilte Franke stattdessen zu 15 Jahren Zuchthaus mit anschließender „Sicherungsverwahrung“.
Nach der Vereinbarung zwischen Himmler und Thierack bedeutete dies gleichwohl die Todesstrafe: Am 29. November 1942 wurde Richard Franke als „Asozialer“ der Polizei übergeben, die ihn ins KZ Mauthausen einlieferte. Weniger als zwei Monate später war er tot.
Nikolaus Wachsmann
Nikolaus Wachsmann ist Professor für Modern European History an der University of London (Birkbeck) und Autor zahlreicher Bücher zum Nationalsozialismus, u. a. des 2015 erschienenen Buches KL. A history of the Nazi Concentration Camps.
Literatur:
Nikolaus Wachsmann: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat (München 2006), S. 309–319.
Quellen:
Bundesarchiv Berlin, R 3001/alt R 22/4062, Besprechung mit Reichsführer SS Himmler am 18. September 1942 in seinem Feldquartier, Bl. 35a–37.
Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Zuchthaus Untermaßfeld Nr. 311.
When the new Reich Minister of Justice, Otto Georg Thierack, took up his post in late summer 1942, he was determined to reorganise the German justice system. One of the plans he had in mind was not to have the many ‘foreign race’ and ‘irredeemable’ offenders sentenced by the regular courts in future, but instead to hand them over to the police.
At a meeting between Thierack and Himmler on 18 September 1942, this annihilation programme was agreed as the ‘transfer of antisocial elements from the prison system to the Reich Chief of the SS for annihilation through work.’ The handover of the inmates took place in two operations, which can be described as ‘general’ and ‘individual’ handover. The ‘general handover’ meant that all Jews, Sinti and Roma, Russians and Ukrainians in penal institutions (and workhouses) were to be transferred. The same applied to Polish prisoners with sentences of over three years. Finally it also included those held under preventative detention in general. Over half the convicts who fell under the general handover had been sentenced to preventative detention. Most presented no particular criminal threat; rather they had been written off as ‘antisocial’ or ‘inferior’.
Richard Franke was one of those sentenced to preventative detention who fell under the ‘general handover’. His father had died in 1910 when he was four years old and he had spent three years being educated in a special school. After the First World War he had scratched a living as an unskilled labourer. He had been arrested regularly for small thefts and sentenced to a few weeks or months in jail, for the first time at the age of 20. He had been unemployed since 1929. Over the following years he criss-crossed Germany looking for work and an income, during which time he committed further minor offences. Thus in 1937 he was sentenced to 15 months’ penal servitude for stealing a garden hose. After his release he tried not to break the law but then stole several chickens and rabbits between the end of 1939 and spring 1940. He probably knew that under the new, draconian, wartime criminal code, as an ‘antisocial parasite’ he was at risk of the death sentence; in any case he tried to commit suicide while in custody awaiting trial. In view of the economic situation that had driven Franke to his crimes, the judge of the Jena special court did refrain from passing the death sentence and instead sentenced Franke to 15 years’ penal servitude with subsequent preventative detention.
The agreement between Himmler and Thierack meant this was a death sentence all the same. On 29 November 1942, Richard Franke was handed over to the police as an ‘antisocial’, who then sent him to Mauthausen concentration camp. Less than two months later he was dead.
Translation into English: Joanna White
Sources:
Bundesarchiv Berlin, Besprechung mit Reichsführer SS Himmler am 18. September 1942 in seinem Feldquartier [Meeting with Reich Führer of the SS Himmler on 18 September 1942 at his field office], R 3001/alt R 22/4062, Bl. 35a–37.
Thüringische Staatsarchiv Meiningen, Zuchthaus Untermaßfeld Nr. 311.
References:
Nikolaus Wachsmann: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat [Imprisoned Under Hitler. Judicial Terror and the Penal System in the Nazi State] (Munich 2006), pp. 309–319.